17.7.2010
Reduzierung des Luftwiderstandes -
volle Wirkung erst mit regenerativem Bremsen
Vortrag auf der Tagung Fahrzeug-Aerodynamik, veranstaltet vom Haus der Technik Essen (HdT) in München, 7.+ 8. Juli 2010, Leitung Hans Kerschbaum.

Der Luftwiderstand eines Autos lässt sich gegenüber dem derzeitigen Stand noch drastisch senken. Der Verbrauch und damit die CO2-Emissionen werden dabei aber nur dann signifikant reduziert, wenn geeignete fahrmechanische Maßnahmen ergriffen werden. Die ständig erhobene Forderung, die Masse des Fahrzeugs zu senken, ist jedoch illusionär. Echter Leichtbau hilft nicht weiter; nicht zuletzt deshalb, weil er viel zu teuer ist. Aus dieser Sackgasse befreit uns das regenerative Bremsen. Wie man es einsetzen – oder missbrauchen - kann, das soll im folgenden erläutert werden.

Nach wie vor stellt die Senkung des Luftwiderstandes die Hauptaufgabe für die Pkw-Aerodynamiker dar. Wie sich dessen Kenngröße, der cW-Wert, in jüngster Zeit entwickelt hat, daran erinnert Bild 1. Oft gezeigt - und mit stoischer Gelassenheit zur Kenntnis genommen. Seit 20 Jahren kein Fortschritt, zumindest im Mittelwert.

Der Erfolg der 70er und 80er Jahre war möglich, weil Strategien entwickelt wurden, wie die an sich bekannten aerodynamischen Gesetzmäßigkeiten auf das Auto zu übertragen sind. Die Ergebnisse sind in der Tabelle von Bild 2 zusammengefasst. Eine dritte, die „Grenzwert-Strategie“ hat sich noch nicht durchgesetzt. Sie führt zu deutlich niedrigeren cW-Werten. Ob nun mit oder ohne eine Strategie, signifikant niedrigere cW-Werte, als derzeit in Serie, sind möglich. Bild 3 bestätigt das erneut. Dazu zwei Anmerkungen: Bei beiden Prototypen handelt es sich um kompakte Fahrzeuge. Früher hin und wieder vorgestellte Pkw mit derart niedrigem cW-Wert waren dagegen vergleichsweise schlank. Und das Design der hier gezeigten Autos, ob man es nun mag oder nicht, ein Einheitsdesign ist es jedenfalls nicht.

Die im folgenden kurz rekapitulierten Einzelheiten sind bestens bekannt. Worauf es ankommt ist, sie richtig zu verknüpfen.

Wie das gelingt, dahin führt uns die Frage, warum das aufgezeigte cW-Potenzial nicht für die Serie genutzt wird. Es sind immer die gleichen Argumente, die man zu hören bekommt:

  • Die am häufigsten genannte Begründung heißt NEFZ, der Neue Europäische Fahrzyklus. Dieser allen Beteiligten bestens bekannte Fahrzyklus ist in Bild 4 wiedergegeben. Sein ausgesprochener Zuckeltrab – seine durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit beträgt 32 km/h, sorgt dafür, dass die Effizienz einer cW-Wert-Senkung im Verbrauch kaum zu Buche schlägt. Aber, mit diesem NEFZ werden wir leben müssen; in ihm werden amtlich die CO2-Emissionen ermittelt, nicht in noch so kundenrelevanten, mühsam erarbeiteten Spezialzyklen. Selbst der sehr viel realistischere, gemeinsam von ADAC und FIA abgeleitete Zyklus (NEFZ plus ca. 100km/h) wird sich nicht durchsetzen lassen, obgleich er den Bürokraten in Behörden und Industrie die Chance ließ, das Gesicht zu wahren, denn der NEFZ bliebe ja erhalten.
  • Als nächste Entgegenhaltung folgt der ständig vorgebrachte Einwand, die Designer würden bei den neuen Formen nicht mitspielen. Eine reine Schutzbehauptung. Denn wie sollen die Stilisten gegen Neues sein, wenn man es ihnen gar nicht erst vorstellt?
  • Schließlich die Technik. Wie sollte ein niedriger cW-Wert sinnvollerweise zur Geltung gebracht werden? Die Alternativen kann man sehr schön im Zugkraft-Geschwindigkeitsdiagramm, Bild 5, verfolgen, von dem im folgenden nur ein kleiner Ausschnitt betrachtet werden soll, wie in Bild 6 zu sehen. Im Beispiel erlaubt ein cW -Sprung von 0,30 auf 0,20 bei gleicher Leistung P eine um 30 km/h erhöhte Spitze. Die würde jeden GTI-Fan beglücken, passt aber nicht so recht in die Zeit. Die Alternative: man reduziere die Motorleistung P, Bild 7, so weit, dass die Spitze unverändert bleibt. Das befriedigt die erste Erwartung eines Käufers an die Fahrleistungen seines nächsten Autos. Da man aber die Masse nicht derart reduzieren kann, dass das Beschleunigungsvermögen unverändert bleibt – die zweite Erwartung des Käufers – ist dieser Weg nicht gangbar. Alle euphorischen Beschwörungen der „Leichtbauer“ werden daran nichts ändern, und konsequenter Leichtbau à la Airbus ist unbezahlbar.

Und genau hier kommt nun das regenerative Bremsen zum Zug. Bild 8 zeigt es im Schema, gleichviel, ob es ein elektrisches oder ein mechanisches System ist - z.B. mit einem Schwungrad. Diese Technik lässt sich auf zweierlei Art nutzen. Die eine zeigt Bild 9. Die regenerativ gewonnene Leistung kann man auf die unveränderte Motorleistung „oben draufpacken“; das bringt eine beachtliche Steigerung von Spitze und Beschleunigung. Kraftstoff kann man so aber nicht sparen. Der Wertewandel, von dem man gerne spricht, findet so nicht statt. Vernünftig ist allein der aus Bild 7 abgeleitete Weg, nämlich: beim Bremsen gerade so viel Energie rückzugewinnen und zu speichern, dass beim Beschleunigen das Leistungs-„Defizit“ Delta P kompensiert werden kann.

Damit lässt sich, wie in Bild 10 angeschrieben, die Effizienz einer Verringerung des cW-Wertes gegenüber dem konventionellen Bremsen nahezu verdoppeln. Eine Aussage, die sich auf ausführliche Berechnungen von Gino Sovran stützt, die er demnächst veröffentlichen wird.

Es ist selten, dass sich in einer ausgereiften Technik, wie der des Automobils, der Weg zu einer drastischen Verbesserung eröffnet. Kann ein Ingenieur daran ruhigen Gewissens vorbeigehen? Wohl kaum. Man sollte endlich darangehen, so ein Auto (z.B. in der Golf-Klasse), auf die Räder zu stellen und in Serie zu produzieren.

Literatur

Sovran, G., Blaser, D. (2003): A Contribution to Understanding Automotive Fuel Economy and its Limits. SAE-paper 2003-01-2070. SAE Government/Industry Meeting, Washington, D.C., May 12. – 14. 2003.
Sovran, G. (2010): The Impact of Regenerative Braking on Powertrain Delivered Energy Required for Vehicle Propulsion. Wird demnächst veröffentlicht.
Hucho, W.-H. (2007): Luftwiderstand – eine Halbierung des cW-Wertes erscheint möglich. 16. Aachener Kolloquium Fahrzeug- und Motorentechnik. 8.-10.10.2007.



Wolf-Heinrich Hucho 17.7.2010




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